Pressemitteilung / Prozessbericht
von Thomas Felder
Am Abend des 18. Dezembers 2021 wurden in der Reutlinger Alteburgstraße über fünfhundert unbescholtene Bürger*innen von sieben Hundertschaften Polizei mit drei Wasserwerfern, Kampfhunden und berittenen Einheiten in einem Kessel zusammengetrieben und stundenlang festgehalten. Siebenmal wurden sie über Lautsprecher aufgefordert in Kleingruppen den Platz zu verlassen und nach Hause zu gehen, aber genau dies verhinderten die eingesetzten Polizeikräfte nach jeder einzelnen der sieben Durchsagen zwischen 18.55 und 19.30 Uhr. Exakt 576 Personen wurden erkennungsdienstlich behandelt und erhielten kurz darauf einen Bußgeldbescheid über 178,50 Euro wegen Teilnahme an einer verbotenen Versammlung. Die meisten Beschuldigten erhoben Einspruch und beschäftigen seitdem das Amtsgericht mit einer so dort noch nie erlebten Prozesswelle. Jeder Fall muss individuell gewürdigt werden – verlangt das Gesetz.
In der Woche vor Pfingsten kehrte ein guter Geist das Gerichtsgebäude und sorgte für gleich zwei mustergültige Freisprüche: Am Mittwoch wurde das Verfahren gegen eine Reutlinger Bürgerin eingestellt. Das bekannte Geschehen, und wie sie hineingeriet, schilderte sie so gaubhaft, dass es keiner weiteren Zeugen mehr bedurfte. Amtsrichter Lutz-Hill formulierte seinen Freispruch ausdrücklich dergestalt, dass sämtliche Kosten zu Lasten der Staatskasse gehen, auch die für den Verteidiger, Rechtsanwalt Dr. Müller. In der Urteilsbegründung wurde auch der umfangreiche Schriftsatz eines Reutlinger Kollegen, des Amtsrichters Ries erwähnt, welcher das von OB und Landrat voreilig erlassene Versammlungsverbot per se rechtlich infrage stellt. Richter Ries sprach am Donnerstag einen Reutlinger Bürger frei und berief sich dabei auf die Zeugenaussagen eines Stadtrats und eines Polizisten. Beide offenbarten das widersprüchliche Vorgehen der Polizei, die auch nach der allgemein behaupteten Tatzeit jedermann in ihre »Umschließung« hinein- aber niemanden wieder heraus ließ.
In der Begründung seines Urteils verzieh der Richter wiederum der polizeilichen Einsatzleitung ihr Fehlverhalten. Sie sei angesichts der schwierigen Gemengelage und dem Druck der Befehle schlichtweg überfordert gewesen. Im Versammlungsverbot selbst liege das Problem. Ein derartiger Eingriff ins Grundrecht wäre nur denkbar, wenn der Notstand über das ganze Land hereingebrochen sei – und davon konnte in den Tagen vor Weihnachten wahrlich nicht die Rede sein. Nach der Verhandlung wurde Herr Ries noch gefragt, ob sein Schreiben denn öffentlich zur Verfügung stehe. Leider nicht, kam als Antwort. Vielleicht erscheint die -zigseitige Abhandlung irgendwann einmal in einem juristischen Fachjournal.
Anmerkung: Der Verfasser ist selbst betroffen. Sein Prozesstermin wurde festgelegt auf Fr.19.08.22 um 11h im AG RT, Gartenstr.40.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Felder
Musik&Wort
Stöffelburgstr. 2
72770 Reutlingen
fon/fax: 07072 3120
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von Thomas Felder
Am Abend des 18. Dezembers 2021 wurden in der Reutlinger Alteburgstraße über fünfhundert unbescholtene Bürger*innen von sieben Hundertschaften Polizei mit drei Wasserwerfern, Kampfhunden und berittenen Einheiten in einem Kessel zusammengetrieben und stundenlang festgehalten. Siebenmal wurden sie über Lautsprecher aufgefordert in Kleingruppen den Platz zu verlassen und nach Hause zu gehen, aber genau dies verhinderten die eingesetzten Polizeikräfte nach jeder einzelnen der sieben Durchsagen zwischen 18.55 und 19.30 Uhr. Exakt 576 Personen wurden erkennungsdienstlich behandelt und erhielten kurz darauf einen Bußgeldbescheid über 178,50 Euro wegen Teilnahme an einer verbotenen Versammlung. Die meisten Beschuldigten erhoben Einspruch und beschäftigen seitdem das Amtsgericht mit einer so dort noch nie erlebten Prozesswelle. Jeder Fall muss individuell gewürdigt werden – verlangt das Gesetz.
In der Woche vor Pfingsten kehrte ein guter Geist das Gerichtsgebäude und sorgte für gleich zwei mustergültige Freisprüche: Am Mittwoch wurde das Verfahren gegen eine Reutlinger Bürgerin eingestellt. Das bekannte Geschehen, und wie sie hineingeriet, schilderte sie so gaubhaft, dass es keiner weiteren Zeugen mehr bedurfte. Amtsrichter Lutz-Hill formulierte seinen Freispruch ausdrücklich dergestalt, dass sämtliche Kosten zu Lasten der Staatskasse gehen, auch die für den Verteidiger, Rechtsanwalt Dr. Müller. In der Urteilsbegründung wurde auch der umfangreiche Schriftsatz eines Reutlinger Kollegen, des Amtsrichters Ries erwähnt, welcher das von OB und Landrat voreilig erlassene Versammlungsverbot per se rechtlich infrage stellt. Richter Ries sprach am Donnerstag einen Reutlinger Bürger frei und berief sich dabei auf die Zeugenaussagen eines Stadtrats und eines Polizisten. Beide offenbarten das widersprüchliche Vorgehen der Polizei, die auch nach der allgemein behaupteten Tatzeit jedermann in ihre »Umschließung« hinein- aber niemanden wieder heraus ließ.
In der Begründung seines Urteils verzieh der Richter wiederum der polizeilichen Einsatzleitung ihr Fehlverhalten. Sie sei angesichts der schwierigen Gemengelage und dem Druck der Befehle schlichtweg überfordert gewesen. Im Versammlungsverbot selbst liege das Problem. Ein derartiger Eingriff ins Grundrecht wäre nur denkbar, wenn der Notstand über das ganze Land hereingebrochen sei – und davon konnte in den Tagen vor Weihnachten wahrlich nicht die Rede sein. Nach der Verhandlung wurde Herr Ries noch gefragt, ob sein Schreiben denn öffentlich zur Verfügung stehe. Leider nicht, kam als Antwort. Vielleicht erscheint die -zigseitige Abhandlung irgendwann einmal in einem juristischen Fachjournal.
Anmerkung: Der Verfasser ist selbst betroffen. Sein Prozesstermin wurde festgelegt auf Fr.19.08.22 um 11h im AG RT, Gartenstr.40.
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26.08.2022 AG Reutlingen 10:15 Uhr.
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