Zwischen Zivilisation und Wildnis
„Auch der vernünftigste Mensch bedarf von Zeit zu Zeit wieder der Natur, das heißt Seiner unlogischen Grundstellung zu allen Dingen“. ~Friedrich Nietzsche~
Der Hag und die Heckse
Bei der Landnahme zogen die Germanen einen Zaun um das Gehöft, den sogenannten Hag. Der Hag war weniger ein Holzgerüst als eine Hecke, ein lebendiger Zaun aus Buschwerk und Sträuchern (mhd, hac: „Dorngesträuch“). Viele Pflanzennamen rühren noch von dieser Hecke her, zum Beispiel Hagedorn, Hagerose, Hagebuche, Hagebutte. Von den Weidenruten und Haselnussgerten, die man zum Einhegen mitverwendete, leitet sich noch das Wort „Garten“ ab. Diesen Wohnraum, den der Hag umschloss, nannten die Germanen Midgard:
„Midgard nannten die Germanen das Zentrum der Welt, die von Menschen bewohnte Erde. In der Edda scheint Midgard nicht nur den Wohnort der Menschen, sondern auch den ihn umgebenden Schutzwall zu bezeichnen“.
Haus- und Hofbereich waren durch verschiedene magische Kreise strukturiert, die unterschiedliche Grade an Sakralität besitzen konnten:
„Vom Wohnhaus aus zeichnen sich allmählich verschiedene Räume ab, die mehr oder minder heilig sind. Die skáli oder das hof wird zum Zentrum mehrerer Kreise, die religiös-mythische Einfriedungen sind. Jeder eingefriedete Raum wird zum Heiligtum, hat seine eigenen Gesetze und gehört nicht mehr zur profanen Welt“.
Hinter dem Hag - hinter der Hecke - begann die Wildnis, der Urwald, das unendlich Unbekannte, das Chaos, altnord. úrgarđr: die „Außenwelt“. Es war nicht ganz ungefährlich, die schützende Hecke zu durchschreiten oder vom rechten Weg abzukommen: Wölfe trieben sich im Wald herum, auch Trolle oder Thursen, und wer sich zu tief in ihn hineinwagte, riskierte es, sich furchtbar zu verlaufen; davon zeugen noch die Märchen der Gebrüder Grimm, die vielfach mit dem Eintritt des Helden in den Märchen-, Zauber- oder Hexenwald beginnen. Der Hag war die Schnittstelle zwischen Kultur und Natur, die Pforte zu einer fremden Welt. Öffnungen und Schlupflöcher im Hag galten als Tore in das Reich der Elfen; wer sie durchschritt, gelangte in die Anderswelt, einen Ort hinter der bekannten Wirklichkeit.
Man muss kein Philologe sein, um zu erkennen, dass sich die Worte „#Hecke“ und „#Hexe“ auffällig ähneln: Im frühen Mittelalter wurde derjenige, der den Hag durchschritt, hag-a-zussa genannt, das heißt „Hexe“. Das Wort setzt sich aus den Bestandteilen hag „Zaun, Hecke“ und zussa „Elfe, wilde Frau“ (anord. tysja) zusammen und wird zumeist als „Zaun-reiterin“ übersetzt. In einer berühmten Definition nennt der Ethnologe Hans Peter Duerr die Hexe
„diejenige, die auf dem Hag, der Hecke, dem Zaun saß, der hinter den Gärten verlief und das Dorf von der Wildnis abgrenzte, und war somit ein Wesen, das an beiden Bereichen teilhatte“.
In grauer Vorzeit mag die Hexe noch ein Hecken- oder Walddämon gewesen sein, eine „kleine Gottheit“ (Lecouteux), die sich im der Nähe des Gehöftes aufhielt:
„Alle Glaubensvorstellungen und Aberglauben, die der Einfriedung gelten, beweisen, daß dieser Ort - heilig für die alten Germanen - die Wohnstätte eines genius loki (an. lanvaettr) ist“.
Die Dorfbewohner schmückten den Hag und flochten Blumensträuße, Haarbüschel oder Astwerk in die Hecke, so genannte Hexenbesen, um die Naturkräfte der Wildnis milde zu stimmen. Alsobald ging der Begriff aber auch auf jene Frauen über, die dazu in der Lage waren, mit denselben Waldgeistern animistisch zu interagieren, Seherinnen und Schamaninnen. Solche weisen Frauen hat es tatsächlich gegeben, ihr Wirken ist historisch überliefert, und laut Jacob Grimm hielten sie sich mit Vorliebe hinter der Hecke in den Wäldern auf:
„Der alte heilige wald scheint ihr lieblingsaufenthalt; da in hainen, auf bäumen götter thronten, werden die weisen frauen ihres gefolges und geleites denselben raum gesucht haben. Wohnten die gothisches Aliorunen nicht im wald unter waldgeistern? Lag der Veleda thurm nicht auf einem felsen, also des waldes?”.
Aus: Der verteufelte Waldgott
t.me/HueterderIrminsul
„Auch der vernünftigste Mensch bedarf von Zeit zu Zeit wieder der Natur, das heißt Seiner unlogischen Grundstellung zu allen Dingen“. ~Friedrich Nietzsche~
Der Hag und die Heckse
Bei der Landnahme zogen die Germanen einen Zaun um das Gehöft, den sogenannten Hag. Der Hag war weniger ein Holzgerüst als eine Hecke, ein lebendiger Zaun aus Buschwerk und Sträuchern (mhd, hac: „Dorngesträuch“). Viele Pflanzennamen rühren noch von dieser Hecke her, zum Beispiel Hagedorn, Hagerose, Hagebuche, Hagebutte. Von den Weidenruten und Haselnussgerten, die man zum Einhegen mitverwendete, leitet sich noch das Wort „Garten“ ab. Diesen Wohnraum, den der Hag umschloss, nannten die Germanen Midgard:
„Midgard nannten die Germanen das Zentrum der Welt, die von Menschen bewohnte Erde. In der Edda scheint Midgard nicht nur den Wohnort der Menschen, sondern auch den ihn umgebenden Schutzwall zu bezeichnen“.
Haus- und Hofbereich waren durch verschiedene magische Kreise strukturiert, die unterschiedliche Grade an Sakralität besitzen konnten:
„Vom Wohnhaus aus zeichnen sich allmählich verschiedene Räume ab, die mehr oder minder heilig sind. Die skáli oder das hof wird zum Zentrum mehrerer Kreise, die religiös-mythische Einfriedungen sind. Jeder eingefriedete Raum wird zum Heiligtum, hat seine eigenen Gesetze und gehört nicht mehr zur profanen Welt“.
Hinter dem Hag - hinter der Hecke - begann die Wildnis, der Urwald, das unendlich Unbekannte, das Chaos, altnord. úrgarđr: die „Außenwelt“. Es war nicht ganz ungefährlich, die schützende Hecke zu durchschreiten oder vom rechten Weg abzukommen: Wölfe trieben sich im Wald herum, auch Trolle oder Thursen, und wer sich zu tief in ihn hineinwagte, riskierte es, sich furchtbar zu verlaufen; davon zeugen noch die Märchen der Gebrüder Grimm, die vielfach mit dem Eintritt des Helden in den Märchen-, Zauber- oder Hexenwald beginnen. Der Hag war die Schnittstelle zwischen Kultur und Natur, die Pforte zu einer fremden Welt. Öffnungen und Schlupflöcher im Hag galten als Tore in das Reich der Elfen; wer sie durchschritt, gelangte in die Anderswelt, einen Ort hinter der bekannten Wirklichkeit.
Man muss kein Philologe sein, um zu erkennen, dass sich die Worte „#Hecke“ und „#Hexe“ auffällig ähneln: Im frühen Mittelalter wurde derjenige, der den Hag durchschritt, hag-a-zussa genannt, das heißt „Hexe“. Das Wort setzt sich aus den Bestandteilen hag „Zaun, Hecke“ und zussa „Elfe, wilde Frau“ (anord. tysja) zusammen und wird zumeist als „Zaun-reiterin“ übersetzt. In einer berühmten Definition nennt der Ethnologe Hans Peter Duerr die Hexe
„diejenige, die auf dem Hag, der Hecke, dem Zaun saß, der hinter den Gärten verlief und das Dorf von der Wildnis abgrenzte, und war somit ein Wesen, das an beiden Bereichen teilhatte“.
In grauer Vorzeit mag die Hexe noch ein Hecken- oder Walddämon gewesen sein, eine „kleine Gottheit“ (Lecouteux), die sich im der Nähe des Gehöftes aufhielt:
„Alle Glaubensvorstellungen und Aberglauben, die der Einfriedung gelten, beweisen, daß dieser Ort - heilig für die alten Germanen - die Wohnstätte eines genius loki (an. lanvaettr) ist“.
Die Dorfbewohner schmückten den Hag und flochten Blumensträuße, Haarbüschel oder Astwerk in die Hecke, so genannte Hexenbesen, um die Naturkräfte der Wildnis milde zu stimmen. Alsobald ging der Begriff aber auch auf jene Frauen über, die dazu in der Lage waren, mit denselben Waldgeistern animistisch zu interagieren, Seherinnen und Schamaninnen. Solche weisen Frauen hat es tatsächlich gegeben, ihr Wirken ist historisch überliefert, und laut Jacob Grimm hielten sie sich mit Vorliebe hinter der Hecke in den Wäldern auf:
„Der alte heilige wald scheint ihr lieblingsaufenthalt; da in hainen, auf bäumen götter thronten, werden die weisen frauen ihres gefolges und geleites denselben raum gesucht haben. Wohnten die gothisches Aliorunen nicht im wald unter waldgeistern? Lag der Veleda thurm nicht auf einem felsen, also des waldes?”.
Aus: Der verteufelte Waldgott
t.me/HueterderIrminsul
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